Aschenputtel
Das Original Märchen
Lesedauer:
18 Minuten



Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Rucke di guck, rucke di guck, Blut ist im Schuh: Der Schuh ist zu klein, die rechte Braut sitzt noch daheim.

Einem reichen Manne dem wurde seine Frau krank. Und als sie fühlte, dass sie bald sterben würde, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach: „liebes Kind, bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen. Und ich will vom Himmel auf dich herab blicken und bei dir sein.“ Darauf machte sie die Augen zu und starb. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zum Grab der Mutter und weinte. Und sie blieb fromm und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf das Grab. Als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.
Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die schön anzusehen, aber böse im Herzen waren. Da begann eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind. „Soll die dumme Gans bei uns in der Stube sitzen?“, sprachen sie. „Wer Brot essen will, muss es sich verdienen. Hinaus mit der Küchenmagd.“ Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen alten Kittel an, und gaben ihm hölzerne Schuhe. „Seht einmal die stolze Prinzessin, wie sie aufgeputzt ist!“ riefen sie, lachten und führten es in die Küche. Da musste es vom Morgen bis zum Abend schwere Arbeiten verrichten, vor Tagesanbruch aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Darüber hinaus taten ihm die Schwestern alles erdenkliche zufleiß, verspotteten es und schütteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, sodass es sich dazu setzen und sie wieder einsammeln musste. Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte, kam es in kein Bett, sondern musste sich neben dem Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.
Es trug sich zu, dass der Vater einmal auf einen Markt zum Einkaufen gehen wollte. Da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen sollte? „Schöne Kleider“, sagte die eine, „Perlen und Edelsteine“, die zweite. „Aber du, Aschenputtel“, sprach er, „was willst du haben“? „Vater, der erste Grünzweig, der euch auf eurem Heimweg an den Hut stößt, den brecht für mich ab.“ Er kaufte nun für die beiden Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen und Edelsteine, und auf dem Rückweg, als er durch einen grünen Busch ritt, streifte er an einem Haselzweig an und stieß sich den Hut vom Kopf. Da brach er den Zweig ab und nahm ihn mit.
Als er nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern was sie sich gewünscht hatten, und dem Aschenputtel gab er den Zweig von dem Haselbusch. Aschenputtel dankte ihm, ging zum Grab ihrer Mutter und pflanzte den Zeig darauf. Sie weinte dabei so sehr, dass die Tränen darauf niederfielen und es begossen. Daraus wuchs ein schöner Baum. Aschenputtel ging alle Tage dreimal hin, weinte und betete. Und jedes Mal kam ein weißes Vöglein zu dem Baum. Was auch immer sie sich nun gewünscht hatte, das Vöglein erfüllte es ihr.
Es begab sich aber, dass der König ein Fest ausrichten ließ, das drei Tage dauern sollte. Alle schönen Jungfrauen im Lande wurden dazu eingeladen, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen könnte. Als die zwei Stiefschwestern hörten, dass auch sie dabei erscheinen sollten, waren guter Dinge. Sie riefen Aschenputtel und sprachen: „kämm uns die Haare, bürste uns die Schuhe und mache uns die Schnallen fest. Wir gehen zur Hochzeit auf des Königs Schloss.“ Aschenputtel gehorchte, weinte aber, weil es auch gern zum Tanz mitgegangen wäre. Darum bat die Stiefmutter, sie möge es ihm erlauben. „Du Aschenputtel“, sprach sie, „bist voll Staub und Schmutz und willst zur Hochzeit? Du hast keine Kleider und Schuhe und willst tanzen!“. Als es aber nicht aufhörte zu Bitten, sprach sie schließlich: „da habe ich dir eine Schüssel Linsen in die Asche geschüttet. Wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder eingesammelt hast, so sollst du mitgehen.“ Das Mädchen ging durch die Hintertüre hinaus in den Garten und rief: „ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir beim Einsammeln:
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen.“
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein. Danach die Turteltäubchen. Und schließlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit den Köpfchen und fingen an pik, pik, pik, pik. Und dann fingen die übrigen auch an pik, pik, pik, pik. Und sie gaben alle guten Körnlein in der Schüssel. Kaum war eine Stunde herum, so waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da brachte das Mädchen die Schüssel der Stiefmutter, freute sich und glaubte es dürfte nun mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: „nein, Aschenputtel, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen. Du wirst nur ausgelacht.“ Als es nun weinte, sprach sie: „wenn du mir zwei Schüsseln voll Linsen in einer Stunde aus der Asche einsammeln kannst, so sollst du mitgehen“, und dachte: „das kann es ja nimmermehr.“ Als sie die zwei Schüsseln Linsen in die Asche geschüttet hatte, ging das Mädchen durch die Hintertür in den Garten hinaus und rief: „ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir beim Einsammeln:
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen.“
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen. Und schließlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein, und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihren Köpfchen und fingen an pik, pik, pik, pik. Und dann fingen die übrigen auch an pik, pik, pik, pik. Und sie sammelten alle guten Körner in den Schüsseln. Und eh eine halbe Stunde herum war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da trug das Mädchen die Schüsseln zu der Stiefmutter, freute sich und glaubte, nun dürfte es mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: „es hilft dir alles nichts. Du kommst nicht mit, denn du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen. Wir müssten uns deiner schämen.“ Darauf kehrte sie ihm den Rücken zu und eilte mit ihren zwei stolzen Töchtern fort.
Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zum Grab seiner Mutter unter den Haselbaum und rief:
„Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich.“
Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter, und mit Seide und Silber bestickte Pantoffeln. In aller Eile zog es das Kleid an und ging zur Hochzeit. Seine Schwestern aber und die Stiefmutter kannten es nicht, und meinten, es müsse eine fremde Königstochter sein - so schön sah es in dem goldenen Kleide aus. An Aschenputtel dachten sie gar nicht und meinte, es säße daheim im Schmutz und würde noch immer die Linsen aus der Asche suchen. Der Königssohn kam ihr entgegen, nahm sie bei der Hand und tanzte mit ihr. Er wollte sonst mit niemanden tanzen. Darum ließ er ihr die Hand nicht los. Und wenn ein anderer kam, es aufzufordern, sprach er: „das ist meine Tänzerin.“
Es tanzte bis es Abend war. Da wollte es nach Haus gehen. Der Königssohn aber sprach: "ich gehe mit und begleite dich“, denn er wollte sehen, aus welcher Familie das schöne Mädchen stammte. Sie entwischte ihm in der Nähe ihres Hauses und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete der Königssohn bis der Vater kam und sagte ihm, das fremde Mädchen wär in das Taubenhaus gesprungen. Der Alte dachte: „sollte es etwa Aschenputtel sein?“. Und er ließ sich Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzwei schlagen konnte. Aber es war niemand darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche. Und ein trübes Öllämpchen brannte im Schornstein. Denn Aschenputtel war geschwind aus dem Taubenhaus hinten herab gesprungen und zum Haselbäumchen gelaufen. Dort hatte es die schönen Kleider ausgezogen und aufs Grab gelegt. Und der Vogel hatte sie wieder weggenommen. Schließlich hatte es sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.
Am andern Tag, als das Fest von neuem begann und die Eltern und Stiefschwestern wieder fort waren, ging Aschenputtel zum Haselbaum und sprach:
„Bäumchen, rüttel dich und schüttet dich,
wirf Gold und Silber über mich.“
Da warf der Vogel ein noch viel prächtigeres Kleid herab, als am vorigen Tag. Und als es mit diesem Kleide auf der Hochzeit erschien, staunte jedermann über seine Schönheit. Der Königssohn aber hatte gewartet bis es kam, nahm es gleich bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn die andern kamen und es aufforderten, sprach er: „das ist meine Tänzerin.“ Als es nun Abend war, wollte es fort, und der Königssohn ging ihm nach, um zu sehen in welches Haus es ging. Aber es sprang ihm fort und in den Garten hinter dem Haus. Darin stand ein schöner großer Baum an dem die herrlichsten Birnen hingen. Es kletterte so flink wie ein Eichhörnchen durch die Äste und der Königssohn wusste nicht wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der Vater kam und sprach zu ihm: „das fremde Mädchen ist mir entwischt und ich glaube es ist auf den Birnbaum gesprungen.“ Der Vater dachte: „sollte es Aschenputtel sein?“, ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um. Aber es war niemand darauf. Und als sie in die Küche kamen, lag Aschenputtel da in der Asche, wie sonst auch. Denn es war auf der andern Seite vom Baum herabgesprungen, hatte dem Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Kleider zurück gebracht und sein graues Kittelchen angezogen.
Am dritten Tag, als die Eltern und Schwestern fort waren, ging Aschenputtel wieder zum Grab seiner Mutter und sprach zu dem Bäumchen:
„Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich.“
Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so prächtig und glänzend wie es noch keins gehabt hatte. Und die Pantoffeln waren ganz golden. Als es in dem Kleid zu der Hochzeit kam, wussten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Der Königssohn tanzte ganz allein mit ihm, und wenn es einer aufforderte, sprach er: „das ist meine Tänzerin.“
Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort, und der Königssohn wollte es begleiten. Aber es entsprang ihm so geschwind, dass er nicht folgen konnte. Der Königssohn hatte aber eine List gebraucht und die ganze Treppe mit Pech bestreichen lassen. Da war, als es hinabsprang, der linke Pantoffel des Mädchens hängen geblieben. Der Königssohn hob ihn auf. Er war klein und zierlich und ganz golden. Am, nächsten Morgen ging er damit zu dem Mann, und sagte zu ihm: „keine andere soll meine Gemahlin werden als die, an deren Fuß dieser goldene Schuh passt.“ Da freuten sich die beiden Schwestern, denn sie hatten schöne Füße. Die Älteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren. Und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen Zehe nicht hineinkommen. Und der Schuh war ihr zu klein. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „hau die Zehe ab. Wenn du Königin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiss den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mussten aber an dem Grabe vorbei, da saßen die zwei Täubchen auf dem Haselbäumchen, und riefen:
„rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuh:
Der Schuh ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.“
Da blickte er auf ihren Fuß und sah wie das Blut herausquoll. Er wendete sein Pferd, brachte die falsche Braut wieder nach Haus und sagte das wäre nicht die rechte, die andere Schwester sollte den Schuh anziehen. Da ging diese in die Kammer und kam mit den Zehen glücklich in den Schuh. Aber die Ferse war zu groß. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „hau ein Stück von der Ferse ab. Wenn du Königin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Das Mädchen hieb ein Stück von der Ferse ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiss den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, saßen die zwei Täubchen darauf und riefen:
„rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuh:
der Schuh ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.“
Er blickte nieder auf ihren Fuß und sah wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz rot heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd, und brachte die falsche Braut wieder nach Haus. „Das ist auch nicht die rechte“, sprach er, „habt ihr keine andere Tochter?“. „Nein“, sagte der Mann, „nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines plumpes Aschenputtel da. Das kann unmöglich die Braut sein.“ Der Königssohn sprach, er solle es heraufschicken. Die Mutter aber antwortete: „ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.“ Er wollte es aber trotzdem, und Aschenputtel musste gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, ging dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh reichte. Dann setzte es sich auf einen Schemel, zog den Fuß aus dem schweren Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel. Der war wie angegossen. Und als es sich in die Höhe richtete und der König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne Mädchen, das mit ihm getanzt hatte. Und er rief: „das ist die rechte Braut!“ Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor Ärger. Er aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm davon. Als sie an dem Haselbäumchen vorbei kamen, riefen die zwei weißen Täubchen:
„rucke di guck, rucke di guck,
kein Blut ist im Schuh:
der Schuh ist nicht zu klein,
die rechte Braut die führt er heim.“
Und als sie das gerufen hatten, kamen sie beide herab geflogen und setzten sich dem Aschenputtel auf die Schultern, eine rechts, die andere links, und blieben da sitzen.
Als die Hochzeit mit dem Königssohn gehalten werden sollte, kamen die falschen Schwestern. Sie wollten sich einschmeicheln und Teil haben an seinem Glück. Als die Brautleute nun zur Kirche gingen, war die älteste zur rechten, die jüngste zur linken Seite. Da pickten die Tauben einer jeden das eine Auge aus. Als sie später wieder heraus gingen, war die älteste zur linken und die jüngste zur rechten. Da pickten die Tauben einer jeden das andere Auge aus. Und so waren sie für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag gestraft.
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© Kati Winter