Das tapfere Schneiderlein
Das Original Märchen
Lesedauer:
23 Minuten



Schneider besiegt mit List „Siebene auf einen Streich“ drei Riesen, ein Einhorn und ein Wildschwein und bekommt so Königstochter zur Frau:

An einem Sommermorgen saß ein Schneiderlein auf seinem Tisch am Fenster, war guter Dinge und nähte aus Leibeskräften. Da kam eine Bauersfrau die Straße herab und rief: „gut Mus feil! gut Mus feil!“ Das klang dem Schneiderlein lieblich in die Ohren, es steckte sein zartes Haupt zum Fenster hinaus und rief: „hier herauf, liebe Frau, hier werden sie ihre Ware los!“ Die Frau stieg die drei Treppen mit ihrem schweren Korbe zu dem Schneider herauf und musste ihre sämtlichen Töpfe vor ihm auspacken. Er begutachtete alle, hob sie in die Höhe, hielt die Nase dran und sagte endlich: „das Mus scheint mir gut, wiegen sie mir doch vier Loth ab, liebe Frau, wenn's auch ein Viertelpfund ist, kommt es mir nicht darauf an.“ Die Frau, welche gehofft hatte, ein gutes Geschäft zu machen, gab ihm was er verlangte, ging aber ganz ärgerlich und brummig fort.
„Nun das Mus soll mir Gott gesegnen“, rief das Schneiderlein „
und soll mir Kraft und Stärke geben“,
holte das Brot aus dem Schrank, schnitt sich ein Stück über den ganzen Laib und strich das Mus darüber. „Das wird nicht bitter schmecken“, sprach er, „aber erst will ich die Jacke fertig machen, bevor ich hinein beiße.“ Er legte das Brot neben sich, nähte weiter und machte vor Freude immer größere Stiche. Inzwischen stieg der Geruch von dem süßen Mus hinauf an die Wand, wo die Fliegen in großer Menge saßen, sodass sie angelockt wurden und sich scharenweise darauf niederließen. „Ei, wer hat euch eingeladen?“ sprach das Schneiderlein und jagte die ungebetenen Gäste fort. Die Fliegen aber, die kein Deutsch verstanden, ließen sich nicht abweisen, sondern kamen in immer größerer Gesellschaft wieder.
Da lief dem Schneiderlein endlich, wie man sagt, die Laus über die Leber, es griff nach einem Tuch und mit einem „wart, ich will es euch geben!“ schlug es unbarmherzig drauf. Als es das Tuch wegzog und zählte, so lagen nicht weniger als sieben tot vor ihm und streckten die Beine von sich. „Was bist du nur für ein Teufelskerl?“ sprach er, und musste selbst seine Tapferkeit bewundern, „das soll die ganze Stadt erfahren.“ Und in der Hast schnitt sich das Schneiderlein einen Gürtel, nähte ihn und stickte mit großen Buchstaben darauf „Siebene auf einen Streich!“. „Ei was Stadt!“, sprach er weiter, „die ganze Welt soll's erfahren!“ und sein Herz wackelte ihm vor Freude wie ein Lämmerschwänzchen.“
Der Schneider band sich den Gürtel um den Leib und wollte in die Welt hinaus, weil er meinte, die Werkstätte sei zu klein für seine Tapferkeit. Ehe er loszog, sah er sich im ganzen Haus um, ob nicht irgendetwas da wäre, was er mitnehmen könnte. Er fand aber nichts außer einen alten Käs, den steckte er ein. Vor dem Tor bemerkte er einen Vogel, der sich im Gesträuch gefangen hatte. Dieser musste zu dem Käse in die Tasche. Nun nahm er den Weg tapfer zwischen die Beine, und weil er leicht und flink war, fühlte er keine Müdigkeit. Der Weg führte ihn auf einen Berg. Und als er den höchsten Gipfel erreicht hatte, saß dort ein gewaltiger Riese und schaute sich ganz gemächlich um. Das Schneiderlein ging beherzt auf ihn zu, redete ihn an und sprach „guten Tag, Kamerad, du sitzt bestimmt da, und schaust dir an, wie weit die Welt ist. Ich bin gerade dabei, in die Welt hinaus zu gehen. Hast du Lust mit zu gehen?“ Der Riese sah den Schneider verächtlich an und sprach: „du Lump! du miserabler Kerl“. „Gemach, gemach“ antwortete das Schneiderlein, knöpfte den Rock auf und zeigte dem Riesen den Gürtel, „da kannst du lesen was ich für ein Mann bin.“ Der Riese las „Siebene auf einen Streich“, meinte das wären Menschen gewesen, die der Schneider erschlagen hätte, und bekam ein wenig Respekt vor dem kleinen Kerl. Doch wollte er ihn erst prüfen, nahm einen Stein in die Hand, und drückte ihn zusammen, sodass das Wasser heraus tropfte. „Das mach mir nach, „sprach der Riese, „wenn du Stärke hast“. „Ist das alles?“ sagte das Schneiderlein. „Das ist für mich eine Kleinigkeit“, griff in die Tasche, holte den weichen Käs und drückte ihn, dass der Saft heraus lief. „Gell“, sprach er, „das war ein wenig besser?“. Der Riese wusste nicht was er sagen sollte, und konnte es von dem Männlein nicht glauben. Da hob der Riese einen Stein auf und warf ihn so hoch, dass man ihn mit freiem Auge kaum noch sehen konnte: „nun, du Erpelmännchen, das mach‘ mir nach“! „Gut geworfen“, sagte der Schneider, „aber der Stein hat doch wieder zur Erde herabfallen müssen. Ich will dir einen werfen, der soll gar nicht wieder kommen“, griff in die Tasche, nahm den Vogel und warf ihn in die Luft. Der Vogel, froh über seine Freiheit, stieg auf, flog fort und kam nicht wieder. „Wie gefällt dir das Stückchen, Kamerad?“, fragte der Schneider. „Werfen kannst du wohl“, sagte der Riese, „aber nun wollen wir sehen ob du im Stande bist etwas Ordentliches zu tragen.“ Er führte das Schneiderlein zu einem mächtigen Eichenbaum, der da gefällt auf dem Boden lag, und sagte: „wenn du stark genug bist, so hilf mir den Baum aus dem Wald heraus zu tragen“. „Gerne“, antwortete der kleine Mann, „nimm du nur den Stamm auf deine Schulter, ich will die Äste mit dem Gezweig aufheben und tragen, das ist doch das schwerste.“ Der Riese nahm den Stamm auf die Schulter, der Schneider aber setzte sich auf einen Ast, und der Riese, der sich nicht umsehen konnte, musste den ganzen Baum und das Schneiderlein noch obendrein forttragen. Es war da hinten ganz lustig und guter Dinge, pfiff das Liedchen: „es ritten drei Schneider zum Tore hinaus“, als wäre das Baumtragen ein Kinderspiel. Der Riese, nachdem er ein Stück Wegs die schwere Last fortgeschleppt hatte, konnte nicht weiter und rief „hör, ich muss den Baum fallen lassen.“ Der Schneider sprang flink herab, fasste den Baum mit beiden Armen, als wenn er ihn getragen hätte, und sprach zum Riesen: „du bist ein so großer Kerl und kannst den Baum nicht einmal tragen.“
Sie gingen zusammen weiter, und als sie an einem Kirschbaum vorbei kamen, fasste der Riese die Krone des Baums, wo die reifsten Früchte hingen, bog sie herab, gab sie dem Schneider in die Hand und ließ ihn essen. Das Schneiderlein aber war viel zu schwach um den Baum zu halten. Und als der Riese los ließ, fuhr der Baum in die Höhe, und der Schneider wurde mit in die Luft geschnellt. Als er wieder ohne Schaden herabgefallen war, sprach der Riese: „was ist das, hast du nicht die Kraft, die schwache Gerte zu halten?“ „An der Kraft fehlt es nicht“, antwortete das Schneiderlein, „meinst du das wäre etwas für einen, der siebene mit einem Streich getroffen hat? Ich bin über den Baum gesprungen, weil die Jäger da unten in das Gebüsch schießen. Spring nach, wenn du es kannst.“ Der Riese machte den Versuch, konnte aber nicht über den Baum kommen, sondern blieb in den Ästen hängen, sodass das Schneiderlein auch hier die Oberhand behielt.
Der Riese sprach: „wenn du ein so tapferer Kerl bist, so komm mit in unsere Höhle und übernachte bei uns.“ Das Schneiderlein war bereit und folgte ihm. Als sie in der Höhle angekommen waren, saßen da noch andere Riesen beim Feuer, und jeder hatte ein gebratenes Schaf in der Hand und aß davon. Das Schneiderlein sah sich um und dachte: „es ist doch hier viel geräumiger als in meiner Werkstatt.“ Der Riese wies ihm ein Bett an und sagte er sollte sich hineinlegen und ausschlafen. Dem Schneiderlein war aber das Bett zu groß. Er legte sich nicht hinein, sondern kroch in eine Ecke. Als es Mitternacht war und der Riese meinte, das Schneiderlein läge in tiefem Schlafe, stand er auf, nahm eine große Eisenstange und schlug das Bett mit einem Schlag durch - und meinte, er hätte dem Grashüpfer den Garaus gemacht. In aller Frühe gingen die Riesen in den Wald und hatten das Schneiderlein schon ganz vergessen, da kam es auf einmal ganz lustig und verwegen daher geschritten. Die Riesen erschraken, fürchteten, es würde sie alle tot schlagen und liefen hastig fort.
Das Schneiderlein zog weiter, immer seiner spitzen Nase nach. Nachdem es lange gewandert war, kam es in den Hof eines königlichen Palastes. Und da es müde war, so legte es sich ins Gras und schlief ein. Während es da lag, kamen die Leute, betrachteten es von allen Seiten und lasen auf dem Gürtel: „Siebene auf einen Streich.“ „Ach“, sprachen sie, „was will der große Kriegsheld hier mitten im Frieden? Das muss ein mächtiger Herr sein.“ Sie gingen und meldeten es dem König und meinten, wenn Krieg ausbrechen sollte, wäre das ein wichtiger und nützlicher Mann, den man um keinen Preis fortlassen dürfte. Dem König gefiel der Rat und er schickte einen von seinen Hofleuten zum Schneiderlein. Dieser sollte ihm, wenn es aufgewacht wäre, Kriegsdienste anbieten. Der Abgesandte blieb bei dem Schläfer stehen, wartete bis er seine Glieder streckte und die Augen aufschlug, und brachte dann seinen Antrag vor. „Eben deshalb bin ich hier her gekommen“, antwortete er, „ich bin bereit in des Königs Dienste zu treten.“ Darum wurde er ehrenvoll empfangen und ihm eine besondere Wohnung zugewiesen.
Die anderen Kriegsleute hatten aber keine rechte Freude mit dem Schneiderlein und wünschten es wäre tausend Meilen weit weg. „Das kann gefährlich werden“, sprachen sie untereinander, „wenn wir Zank mit ihm kriegen und er haut zu, fallen mit jedem Streich siebene. Da kann unsereiner nicht bestehen.“ Also fassten sie einen Entschluss, allesamt zum König zu gehen und ihm um ihren Abschied zu bitten. „Wir sind nicht gemacht“, sprachen sie, „neben einem Mann zu bestehen, der siebene auf einen Streich schlägt.“ Der König war traurig, dass er wegen nur einem alle seine treuen Diener verlieren sollte und er hätte sich gewünschte, er hätte diesen nie zu Gesicht bekommen - und wäre ihn gerne wieder los geworden. Aber er getraute sich nicht, diesen zu verabschieden, weil er fürchtete, er könnte ihn mitsamt seinem Volk totschlagen um sich dann auf den königlichen Thron zu setzen. Er überlegte lange hin und her, bis er schließlich eine Lösung fand. Er schickte nach dem Schneiderlein und ließ ihm sagen, er habe ein Angebot für ihn, weil er doch so ein großer Kriegsheld wäre. In einem Wald seines Reiches würden zwei Riesen die mit Rauben, Morden und Brandschatzen ihr Unwesen treiben und großen Schaden verursachen. Niemand durfte ihn ihre Nähe kommen, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Wenn er diese beiden Riesen überwinden und töten würde, so wollte er ihm seine einzige Tochter zur Gemahlin geben - und das halbe Königreich zur Ehesteuer. Hundert Reiter sollten mit ziehen und ihm Beistand leisten. „Das wäre schon was, für einen Mann wie du einer bist“, dachte das Schneiderlein. „Eine schöne Königstochter und ein halbes Königreich wird einem nicht alle Tage angeboten.“ „O ja“, gab er zur Antwort, „die Riesen werde ich schon bändigen und habe die hundert Reiter dazu nicht nötig. Wer siebene auf einen Streich trifft, braucht sich vor zweien nicht zu fürchten.“
Das Schneiderlein zog aus und die hundert Reiter folgten ihm. Als er zu dem Rand des Waldes kam, sprach er zu seinen Begleitern: „wartet hier, ich werde schon allein mit den Riesen fertig.“ Dann sprang er in den Wald hinein und schaute sich rechts und links um. Nach einem Weilchen erblickte er die beiden Riesen. Sie lagen unter einem Baume und schliefen und schnarchten dabei, dass sich die Äste auf und nieder bogen. Das Schneiderlein, nicht faul, füllte beide Taschen voll mit Steinen und stieg damit auf den Baum. Als es in der Mitte war, rutschte es auf einem Ast so weit hinaus, bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam. Dann ließ er dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, bis er schließlich aufwachte, seinen Gesellen anstieß und sprach: „was schlägst du mich“? „Du träumst“, sagte der andere, „ich schlage dich nicht.“ Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab. „Was soll das?“, rief der andere, „warum bewirfst du mich?“. „Ich bewerfe dich nicht, du musst träumen“, antwortete der erste. Sie zankten sich eine Weile herum, doch, weil sie müde waren, ließen sie es gut sein. Und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fing sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust. „Das ist mir jetzt zu viel!“ schrie er, sprang wie blind vor Wut auf und fiel über seinen Gesellen her. Dieser zahlte mit gleicher Münze heim und sie gerieten in solche Wut, dass sie Bäume ausrissen und auf einander los schlugen. Sie hörten so lange nicht damit auf, bis schließlich beide tot am Boden lagen. Nun sprang das Schneiderlein herab. „Ein Glück nur“, sprach es, „dass sie den Baum, auf dem ich saß, nicht ausgerissen haben, sonst hätt' ich wie ein Eichhörnchen auf einen andern springen müssen. Doch unser einer ist flink!“ Es zog sein Schwert und versetzte jedem ein paar tüchtige Hiebe in die Brust. Dann ging es hinaus zu den Reitern und sprach: „die Arbeit ist getan. Ich habe beiden den Garaus gemacht. Aber hart ist es hergegangen. Sie haben in der Not Bäume ausgerissen und sich gewehrt. Doch das hilft alles nichts, wenn einer wie ich kommt, der siebene auf einen Streich schlägt.“ „Seid ihr denn nicht verwundet“, fragten die Reiter. „Alles in Ordnung“, antwortete der Schneider, „kein Haar haben sie mir gekrümmt.“ Die Reiter wollten ihm keinen Glauben schenken und ritten in den Wald hinein. Da fanden sie die Riesen in ihrem Blute schwimmend, und rings herum lagen die ausgerissenen Bäume.
Das Schneiderlein verlangte von dem König die versprochene Belohnung. Diesen aber reute sein Versprechen und überlegte aufs Neue, wie er sich den Helden vom Halse schaffen könnte. „Ehe du meine Tochter und das halbe Reich erhältst“, sprach er zu ihm, „musst du noch eine Heldentat vollbringen. In dem Walde läuft ein Einhorn umher, das großen Schaden anrichtet. Das musst du erst einfangen“. „Vor einem Einhorne fürchte ich mich noch weniger als vor zwei Riesen. Siebene auf einen Streich, das ist meine Sache.“ Er nahm sich einen Strick und eine Axt mit, ging hinaus in den Wald und ließ abermals jene, die ihn begleiten sollten, draußen am Waldesrand warten. Er brauchte nicht lange zu suchen, da kam das Einhorn daher und sprang geradezu auf den Schneider los, als wollte es ihn ohne lange zu fackeln aufspießen. „Sachte, sachte“, sprach er, „so geschwind geht das nicht“. Er blieb stehen und wartete bis das Tier ganz nahe war. Dann sprang er flink hinter einen Baum. Das Einhorn rannte mit aller Kraft gegen den Baum und spießte sein Horn so fest in den Stamm, dass es nicht die Kraft hatte, es wieder heraus zu ziehen. Und so war es gefangen. „Jetzt hab ich das Vöglein“, sagte der Schneider, kam hinter dem Baum hervor, legte dem Einhorn den Strick zuerst um den Hals. Dann hieb er mit der Axt das Horn aus dem Baum und als alles erledigt war, führte er das Tier fort und brachte es dem König.
Der König aber wollte ihm den versprochenen Lohn noch immer nicht gewähren und forderte ihn drittes Mal heraus. Der Schneider sollte ihm vor der Hochzeit erst ein Wildschwein fangen, das in dem Wald großen Schaden anrichtet. Die Jäger sollten ihm Beistand leisten. „Gerne“, sprach der Schneider, „das ist ein Kinderspiel.“ Die Jäger nahm er nicht mit in den Wald und sie waren darüber gar nicht böse, denn das Wildschwein hatte sie schon mehrmals so empfangen, dass sie keine Lust mehr hatten, ihm nachzustellen. Als das Schwein den Schneider erblickte, lief es mit schäumendem Munde und wetzenden Zähnen auf ihn zu - und wollte ihn zu Boden werfen. Der wendige Held aber sprang in eine Kapelle, die in der Nähe war und in einem Satz gleich oben zum Fenster wieder hinaus. Das Schwein war hinter ihm her in die Kapelle gelaufen. Er aber hüpfte außen herum und schlug die Türe hinter ihm zu. Da war das wütende Tier gefangen, weil es viel zu schwer und unbeweglich war, um beim Fenster hinaus zu springen. Das Schneiderlein rief die Jäger herbei. Sie mussten den Gefangenen mit eigenen Augen sehen. Der Held aber begab sich zum Könige, der nun, ob er mochte oder nicht, sein Versprechen einhalten musste - und ihm seine Tochter und das halbe Königreich übergab. Hätte er gewusst, dass kein Kriegsheld, sondern ein Schneiderlein vor ihm stand, es wäre ihm noch mehr zu Herzen gegangen. Die Hochzeit wurde sodann mit großer Pracht und kleiner Freude gehalten. Und aus einem Schneider ein König gemacht.
Nach einiger Zeit hörte die junge Königin in der Nacht, wie ihr Gemahl im Traume sprach: „Junge, mach mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Löffel lang ziehen“. Da merkte sie, in welcher Gasse der junge Herr geboren war, klagte am andern Morgen ihrem Vater ihr Leid und bat, er solle ihr dabei helfen, den Mann loszuwerden, der nichts anders als ein Schneider wäre. Der König sprach ihr Trost zu und sagte: „lass' in der nächsten Nacht deine Schlafkammer offen, meine Diener sollen draußen warten. Und, wenn er eingeschlafen ist, sollen sie hineingehen, ihn festbinden und auf ein Schiff tragen, das ihn in die weite Welt hinaus fährt.“ Die Frau war damit zufrieden, des Königs Waffenträger aber, der alles mit angehört hatte, war dem jungen Herrn gewogen und verriet ihm den geplanten Hinterhalt. „Dem Ding will ich einen Riegel vorschieben“, sagte das Schneiderlein. Abends legte es sich zur gewohnten Zeit mit seiner Frau ins Bett. Als sie glaubte, er sei eingeschlafen, stand sie auf, öffnete die Tür und legte sich wieder hin. Das Schneiderlein, das sich nur so stellte, als würde es schlafen, fing an mit heller Stimme zu rufen: „Junge, mach‘ mir den Wams und flick mir die Hosen, oder ich will dir die Elle über die Löffel lang ziehen! Ich habe siebene mit einem Streich getroffen, zwei Riesen getötet, ein Einhorn fortgeführt, und ein Wildschwein gefangen und sollte mich vor denen fürchten, die draußen vor der Kammer stehen“! Als diese den Schneider sprechen hörten, überkam sie eine große Furcht. Sie liefen, als würden sie wilde Horden jagen und keiner wollte sich mehr an ihn heranwagen. Somit war und blieb das Schneiderlein sein Lebtag ein König.
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© Kati Winter