top of page
durchschnittliches Rating ist 4 von 5

Der Meisterdieb

Das Original Märchen 

Lesedauer: 

19 Minuten

Deutsche Flagge - aktuelle Ansicht
Alle Märchen der Gebrüder Grimm von A-Z in Englisch

Ein Mann kehrt in seine Heimat reich zurück und gibt sich als Meisterdieb aus. Weil er sein Können dem Grafen beweisen kann, darf er ohne Strafe wieder gehen.

The Frog King, or Iron Heinrich
Cat and Mouse in Partnership
Mary's Child
The Youth Who Went Forth to Learn What Fear Was
The Wolf and the Seven Young Kids
Faithful John or Trusty John
The Good Bargain
The Wonderful Musician
The Twelve Brothers
The Pack of Ragamuffins
Little Brother and Little Sister
Rapunzel
The Three Little Men in the Wood
The Three Spinning Women
Hansel and Gretel
The Three Snake-Leaves
The White Snake
The Straw, the Coal, and the Bean
The Fisherman and His Wife
The Brave Little Tailor
Cinderella
The Riddle
The Mouse, the Bird, and the Sausage
Mother Holle or Old Mother Frost
The Seven Ravens
Little Red Cap or Little Red Riding Hood
The Bremen Town Musicians
The Singing Bone
The Devil With the Three Golden Hairs
The Louse and the Flea
The Girl Without Hands or The Handless Maiden
Clever Hans
The Three Languages
Clever Else
The Tailor in Heaven
The Magic Table, the Gold-Donkey, and the Club in the Sack
Thumbling
The Wedding of Mrs. Fox
The Elves
The Robber Bridegroom
Herr Korbes
The Godfather
Mother Trudy
Godfather Death
Thumbling's Travels
Fitcher's Bird
The Juniper Tree
Old Sultan
The Six Swans
Briar Rose
Foundling-Bird
King Thrushbeard
Snow White
The Knapsack, the Hat, and the Horn
Rumpelstiltskin
Sweetheart Roland
The Golden Bird
The Dog and the Sparrow
Frederick and Catherine
The Two Brothers
The Little Peasant
The Queen Bee
The Three Feathers
The Golden Goose
All-Kinds-of-Fur
The Hare's Bride
The Twelve Huntsme
From the Summer and Winter Garden
Jorinde and Joringel
The Three Sons of Fortune
How Six Men got on in the World
The Wolf and the Man
The Wolf and the Fox
Gossip Wolf and the Fox
The Fox and the Cat
The Pink
Clever Gretel
The Old Man and his Grandson
The Water Nixie
The Death of the Little Hen
Brother Lustig
Gambling Hansel
Hans in Luck
Hans Married
The Gold-Children
The Fox and the Geese
The Poor Man and the Rich Man
The Singing, Springing Lark
The Goose Girl
The Young Giant
The Gnome
The King of the Gold Mountain
The Raven
The Peasant's Wise Daughter
Old Hildebrand
The Three Little Birds
The Water of Life
Doctor Know-all
The Spirit in the Bottle
The Devil's Sooty Brother
Bearskin
The Willow Wren and the Bear
Sweet Porridge
Wise Folks
Tales of the Paddock
The Poor Miller's Boy and the Cat
The Two Travelers
Hans My Hedgehog
The Shroud
The Jew Among Thorns
The Skillful Huntsman
The Flail from Heaven
The Two Kings' Children
The Cunning Little Tailor
The Bright Sun Brings it to Light
The Blue Light
The Willful Child
The Three Army Surgeons
The Seven Swabians
The Three Apprentices
The King's Son Who Feared Nothing
Donkey Cabbages
The Old Woman in the Wood
The Three Brothers
The Devil and His Grandmother
Ferdinand the Faithful
The Iron Stove
The Lazy Spinner
The Four Skillful Brothers
One-Eye, Two-Eyes, and Three-Eyes
Fair Katrinelje and Pif-Paf-Poltrie
The Fox and the Horse
The Shoes that were Danced to Pieces
The Six Servants
The White and the Black Bride
Iron John
The Three Black Princesses
Knoist and his Three Sons
The Maid of Brakel
My Household
The Lambkin and the Little Fish
Simeli Mountain
Going a Traveling
The Donkey or The Little Donkey
The Ungrateful Son
The Turnip
The Old Man Made Young Again
The Lord's Animals and the Devil's
The Beam
The Old Beggar Woman
The Three Sluggards
The Shepherd Boy
The Star Money
The Stolen Farthings
Looking for a Bride
The Hurds
The Sparrow and His Four Children
The Story of Schlauraffen Land
The Ditmarsch Tale of Lies
A Riddling Tale
Snow-White and Rose-Red
The Wise Servant
The Glass Coffin
Lazy Henry
The Griffin
Strong Hans
The Peasant in Heaven
Lean Lisa
The Hut in the Forest
Sharing Joy and Sorrow
The Willow Wren
The Sole
The Bittern and the Hoopoe
The Owl
The Moon
The Duration of Life
Death's Messengers
Master Pfriem
The Goose-Girl at the Well
Eve's Various Children
The Nixie of the Mill-Pond
The Little Folks' Present
The Giant and the Tailor
The Nail
The Poor Boy in the Grave
The True Bride
The Hare and the Hedgehog
Spindle, Shuttle, and Needle
The Peasant and the Devil
The Crumbs on the Table
The Sea-Hare
The Master Thief
The Drummer
The Ear of Corn
The Grave Mound
Old Rinkrank
The Crystal Ball
Maid Maleen
The Boots of Buffalo Leather
The Golden Key

Eines Tages saß vor einem ärmlichen Hause ein alter Mann mit seiner Frau, und wollten von der Arbeit ein wenig ausruhen. Da kam auf einmal ein prächtiger, mit vier Rappen bespannter Wagen herbeigefahren, aus dem ein reichgekleideter Herr stieg. Der Bauer stand auf, trat zu dem Herrn und fragte was sein Verlangen wäre und worin er ihm dienen könnte. Der Fremde reichte dem Alten die Hand und sagte: „ich wünsche nichts als einmal ein ländliches Gericht zu genießen. Bereitet mir Kartoffel, wie ihr sie zu essen pflegt, dann will ich mich zu euerm Tisch setzen, und sie mit Freude verzehren.“ Der Bauer lächelte und sagte: „ihr seid ein Graf oder Fürst, oder gar ein Herzog, vornehme Herrn haben manchmal solch ein Gelüsten; euer Wunsch soll aber erfüllt werden.“

Die Frau ging in die Küche und sie fing an Kartoffel zu waschen und zu reiben und wollte Klöße daraus bereiten, wie sie die Bauern essen. Während sie bei der Arbeit stand, sagte der Bauer zu dem Fremden: „kommt einstweilen mit mir in meinen Hausgarten, wo ich noch etwas zu schaffen habe.“ In dem Garten hatte er Löcher gegraben und wollte jetzt Bäume einsetzen. „Habt ihr keine Kinder“, fragte der Fremde, „die euch bei der Arbeit behilflich sein könnten?“ „Nein“, antwortete der Bauer: „ich habe freilich einen Sohn gehabt“, setzte er hinzu, „aber der ist schon seit langer Zeit in die weite Welt gegangen. Es war ein ungeratener Junge, klug und verschlagen, aber er wollte nichts lernen und machte lauter böse Streiche; zuletzt lief er mir fort, und seitdem habe ich nichts von ihm gehört.“

Der Alte nahm ein Bäumchen, setzte es in ein Loch und stieß einen Pfahl daneben. Und als er Erde hineingeschaufelt und sie festgestampft hatte, band er den Stamm unten, oben und in der Mitte mit einem Strohseil fest an den Pfahl: „Aber sagt mir“, sprach der Herr, „warum bindet ihr den krummen knorrichten Baum, der dort in der Ecke fast bis auf den Boden gebückt liegt, nicht auch an einen Pfahl, wie diesen, damit er strack wächst?“ Der Alte lächelte und sagte: „Herr, ihr redet wie ihr‘s versteht: man sieht wohl, dass ihr euch mit der Gärtnerei nicht abgegeben habt. Der Baum dort ist alt und verknorzt, den kann niemand mehr gerad machen. Bäume muss man ziehen, so lange sie jung sind“. „Es ist wie bei euerm Sohn“, sagte der Fremde, „hättet ihr den gezogen, wie er noch jung war, so wäre er nicht fortgelaufen; jetzt wird er auch hart und knorzig geworden sein“. „Freilich“, antwortete der Alte, „es ist schon lange her, seit er fortgegangen ist; er wird sich verändert haben.“ „Würdet ihr ihn noch erkennen, wenn er vor euch träte?“, fragte der Fremde. „Am Gesicht schwerlich“, antwortete der Bauer, „aber er hat ein Zeichen an sich, ein Muttermal auf der Schulter, das wie eine Bohne aussieht.“ Als er das gesagt hatte, zog der Fremde den Rock aus, entblößte seine Schulter und zeigte dem Bauer die Bohne. „Herr Gott“, rief der Alte, „du bist wahrhaftig mein Sohn“, und die Liebe zu seinem Kind regte sich in seinem Herzen.

„Aber“, setzte er hinzu, „wie kannst du mein Sohn sein, du bist ein großer Herr geworden und lebst in Reichtum und Überfluss? Auf welchem Weg bist du dazu gelangt?“ „Ach, Vater“, erwiderte der Sohn, „der junge Baum war an keinen Pfahl gebunden und ist krumm gewachsen. Jetzt ist er zu alt, er wird nicht wieder gerad. Wie ich das alles erworben habe? Ich bin ein Dieb geworden. Aber erschreckt euch nicht, ich bin ein Meisterdieb. Für mich gibt es weder Schloss noch Riegel. Wonach mich gelüstet, das ist mein. Glaubt nicht, dass ich stehle wie ein gemeiner Dieb, ich nehme nur vom Überfluss der Reichen. Arme Leute sind sicher. Ich gebe ihnen lieber, als dass ich ihnen etwas nehme. So auch was ich ohne Mühe List und Gewandtheit haben kann, das rühre ich nicht an“. „Ach, mein Sohn“, sagte der Vater, „es gefällt mir doch nicht, ein Dieb bleibt ein Dieb. Ich sage dir, es nimmt kein gutes Ende.“ Er führte ihn zu der Mutter und als sie hörte, dass es ihr Sohn war, weinte sie vor Freude. Als er ihr aber sagte, dass er ein Meisterdieb geworden wäre, so flossen ihr zwei Ströme über das Gesicht. Endlich sagte sie: „wenn er auch ein Dieb geworden ist, so ist er doch mein Sohn und meine Augen haben ihn noch einmal gesehen.“

Sie setzten sich an den Tisch, und er aß mit seinen Eltern wieder einmal die schlechte Kost, die er lange nicht gegessen hatte. Der Vater sprach: „wenn unser Herr, der Graf drüben im Schlosse, erfährt wer du bist und was du treibst, so nimmt er dich nicht auf die Arme und wiegt dich darin, wie er es tat, als er dich am Taufstein hielt, sondern er lässt dich am Galgenstrick schaukeln.“ „Seid ohne Sorge, mein Vater, er wird mir nichts tun, denn ich verstehe mein Handwerk. Ich will heute noch selbst zu ihm gehen.“ Als die Abendzeit sich näherte, setzte sich der Meisterdieb in seinen Wagen und fuhr nach dem Schloss. Der Graf empfing ihn mit Artigkeit, weil er ihn für einen vornehmen Mann hielt. Als aber der Fremde sich zu erkennen gab, so erbleichte er und schwieg eine Zeit lang ganz still. Endlich sprach er: „du bist mein Pate, deshalb will ich Gnade für Recht ergehen lassen und nachsichtig mit dir verfahren. Weil du dich rühmst ein Meisterdieb zu sein, so will ich deine Kunst auf die Probe stellen, wenn du aber nicht bestehst, so musst du mit des Seilers Tochter Hochzeit halten, und das Gekrächze der Raben soll deine Musik dabei sein.“ „Herr Graf“, antwortete der Meister, „denkt euch drei Stücke aus, so schwer ihr wollt, und wenn ich eure Aufgabe nicht löse, so tut mit mir wie euch gefällt.“ Der Graf sann einige Augenblicke nach, dann sprach er: „wohlan, zum Ersten sollst du mir mein Leibpferd aus dem Stalle stehlen, zum Anderen sollst du mir und meiner Gemahlin, wenn wir eingeschlafen sind, das Betttuch unter dem Leib wegnehmen, ohne dass wir‘s merken, und dazu meiner Gemahlin den Trauring vom Finger. Zum Dritten und Letzten sollst du mir den Pfarrer und Küster aus der Kirche wegstehlen. Merke dir alles wohl, denn es geht dir sonst an den Hals.“

Der Meister begab sich in die zunächst liegende Stadt. Dort kaufte er einer alten Bauersfrau die Kleider ab, und zog sie an. Dann färbte er sich das Gesicht braun und malte sich noch Runzeln hinein, so dass ihn kein Mensch wiedererkannt hätte. Schließlich füllte er ein Fässchen mit altem Ungarwein, in welchen ein starker Schlaftrunk gemischt war. Das Fässchen legte er auf eine Kötze, die er auf den Rücken nahm, und ging mit bedächtigen, schwankenden Schritten zu dem Schloss des Grafen. Es war schon dunkel als er anlangte. Er setzte sich in dem Hof auf einen Stein, fing an zu husten, wie eine alte brustkranke Frau und rieb die Hände, als wenn er fröre. Vor der Türe des Pferdestalls lagen Soldaten um ein Feuer. Einer von ihnen bemerkte die Frau und rief ihr zu: „komm näher, altes Mütterchen und wärme dich bei uns. Du hast doch kein Nachtlager und nimmst es an, wo du es findest.“ Die Alte trippelte herbei, bat ihr die Kötze vom Rücken zu heben und setzte sich zu ihnen ans Feuer. „Was hast du da in deinem Fässchen, du alte Schachtel?“, fragte einer. „Einen guten Schluck Wein“, antwortete sie. „Ich ernähre mich mit dem Handel, für Geld und gute Worte gebe ich euch gerne ein Glas.“ „Nur her damit“, sagte der Soldat, und als er ein Glas gekostet hatte, rief er: „wenn der Wein gut ist, so trink ich lieber ein Glas mehr“, ließ sich nochmals einschenken, und die andern folgten seinem Beispiel. „Heda, Kameraden“, rief einer denen zu, die in dem Stall saßen, „hier ist ein Mütterchen, das hat Wein, der so alt ist wie sie selber, nehmt auch einen Schluck, der wärmt euch den Magen noch besser als unser Feuer.“

Die Alte trug ihr Fässchen in den Stall. Einer hatte sich auf das gesattelte Leibpferd gesetzt, ein anderer hielt den Zaum in der Hand, ein dritter hatte den Schwanz gepackt. Sie schenkte ein so viel verlangt wurde, bis die Quelle versiegte. Nicht lange so fiel dem einen der Zaum aus der Hand, er sank nieder und fing an zu schnarchen. Der andere ließ den Schwanz los, legte sich nieder und schnarchte noch lauter. Der, welcher im Sattel saß, blieb zwar sitzen, bog sich aber mit dem Kopf fast bis auf den Hals des Pferdes, schlief und blies mit dem Mund wie ein Schmiedebalg. Die Soldaten draußen waren schon längst eingeschlafen, lagen auf der Erde und regten sich nicht, als wären sie von Stein. Als der Meisterdieb sah, dass es ihm geglückt war, gab er dem einen statt des Zaums ein Seil in die Hand, und dem andern, der den Schwanz gehalten hatte, einen Strohwisch. Aber, was sollte er mit dem, der auf dem Rücken des Pferdes saß, anfangen? Herunterwerfen wollte er ihn nicht, er hätte erwachen und ein Geschrei erheben können. Er wusste aber guten Rat, er schnallte die Sattelgurte auf, knüpfte ein paar Seile, die in Ringen an der Wand hingen, an den Sattel fest, und zog den schlafenden Reiter mitsamt dem Sattel in die Höhe. Dann schlug er die Seile um den Pfosten und machte sie fest. Das Pferd hatte er bald von der Kette losgebunden, aber wenn er über das steinerne Pflaster des Hofs geritten wäre, so hätte man den Lärm im Schloss gehört. Er umwickelte ihm also zuvor die Hufen mit alten Lappen, führte es dann vorsichtig hinaus, schwang sich auf und jagte davon.

Als der Tag angebrochen war, sprengte der Meister auf dem gestohlenen Pferd zu dem Schloss. Der Graf war eben aufgestanden und blickte aus dem Fenster. „Guten Morgen, Herr Graf“, rief er ihm zu, „hier ist das Pferd, das ich glücklich aus dem Stall geholt habe. Schaut nur, wie schön eure Soldaten daliegen und schlafen. Und wenn ihr in den Stall gehen wollt, so werdet ihr sehen, wie bequem sich‘s eure Wächter gemacht haben.“ Der Graf musste lachen, dann sprach er: „einmal ist dir‘s gelungen, aber das zweite Mal wird‘s nicht so glücklich ablaufen. Und ich warne dich: wenn du mir als Dieb begegnest, so behandle ich dich auch wie einen Dieb.“

Als die Gräfin abends zu Bette gegangen war, Schloss sie die Hand mit dem Trauring fest zu und der Graf sagte: „alle Türen sind verschlossen und verriegelt, ich bleibe wach und will den Dieb erwarten. Steigt er aber zum Fenster ein, so schieße ich ihn nieder.“ Der Meisterdieb aber ging in der Dunkelheit hinaus zu dem Galgen, schnitt einen armen Sünder, der da hing, von dem Strick ab und trug ihn auf dem Rücken zum Schloss. Dort stellte er eine Leiter an das Schlafgemach, setzte den Toten auf seine Schultern und fing an hinauf zu steigen. Als er so hoch gekommen war, dass der Kopf des Toten in dem Fenster erschien, drückte der Graf, der in seinem Bett lauerte, eine Pistole auf ihn ab.

Alsbald ließ der Meister den armen Sünder herabfallen, sprang selbst die Leiter herab und versteckte sich in einer Ecke. Die Nacht war von dem Mond so weit erhellt, dass der Meister deutlich sehen konnte wie der Graf aus dem Fenster auf die Leiter stieg, herabkam und den Toten in den Garten trug. Dort fing er an ein Loch zu graben, in das er ihn legen wollte. „Jetzt“, dachte der Dieb, „ist der günstige Augenblick gekommen“, schlich behände aus seinem Winkel und stieg die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. „Liebe Frau“, fing er mit der Stimme des Grafen an, „der Dieb ist tot, aber er ist doch mein Pate und mehr ein Schelm als ein Bösewicht gewesen. Ich will ihn der öffentlichen Schande nicht preisgeben. Auch mit den armen Eltern habe ich Mitleid. Ich will ihn, bevor der Tag anbricht, selbst im Garten begraben, damit die Sache nicht ruchbar wird. Gib mir auch das Betttuch, so will ich die Leiche einhüllen und ihn nicht wie einen Hund verscharren.“ Die Gräfin gab ihm das Tuch. „Weißt du was“, sagte der Dieb weiter, „ich habe eine Anwandlung von Großmut. Gib mir noch den Ring. Der Unglückliche hat sein Leben gewagt, so mag er ihn ins Grab mitnehmen.“ Sie wollte dem Grafen nicht entgegen sein und obgleich sie es ungern tat, so zog sie doch den Ring vom Finger und reichte ihn hin. Der Dieb machte sich mit beiden Stücken fort und kam glücklich nach Haus, bevor der Graf im Garten mit seiner Totengräberarbeit fertig war.

Was zog der Graf für ein langes Gesicht, als am andern Morgen der Meister kam und ihm das Betttuch und den Ring brachte. „Kannst du hexen?“, sagte er zu ihm. „Wer hat dich aus dem Grab geholt, in das ich selbst dich gelegt habe, und hat dich wieder lebendig gemacht?“ „Mich habt ihr nicht begraben“, sagte der Dieb, „sondern den armen Sünder am Galgen“ und erzählte ausführlich wie es zugegangen war. Und der Graf musste ihm zugestehen, dass er ein gescheiter und listiger Dieb wäre. „Aber noch bist du nicht zu Ende“, setzte er hinzu. „Du hast noch die dritte Aufgabe zu lösen, und wenn dir das nicht gelingt, so hilft dir alles nichts.“ Der Meister lächelte und gab keine Antwort.

Als die Nacht eingebrochen war, kam er mit einem langen Sack auf dem Rücken, einem Bündel unter dem Arm, und einer Laterne in der Hand zu der Dorfkirche gegangen. In dem Sack hatte er Krebse, in dem Bündel aber kurze Wachslichter. Er setzte sich auf den Friedhof, holte einen Krebs heraus und klebte ihm ein Wachslichtchen auf den Rücken. Dann zündete er das Lichtchen an, setzte den Krebs auf den Boden und ließ ihn kriechen. Er holte einen zweiten aus dem Sack, machte es mit diesem ebenso und fuhr fort bis auch der letzte aus dem Sacke war. Hierauf zog er ein langes schwarzes Gewand an, das wie eine Mönchskutte aussah und klebte sich einen grauen Bart an das Kinn. Als er endlich ganz unkenntlich war, nahm er den Sack, in dem die Krebse gewesen waren, ging in die Kirche und stieg auf die Kanzel. Die Turmuhr schlug eben zwölf. Als der letzte Schlag verklungen war, rief er mit lauter gellender Stimme: „hört an, ihr sündigen Menschen, das Ende aller Dinge ist gekommen, der jüngste Tag ist nahe. Hört an, hört an. Wer mit mir in den Himmel will, der krieche in den Sack. Ich bin Petrus, der die Himmelstüre öffnet und schließt. Seht ihr draußen auf dem Friedhof wandeln die Gestorbenen und sammeln ihre Gebeine zusammen. Kommt, kommt und kriecht in den Sack, die Welt geht unter.“

Das Geschrei erschallte durch das ganze Dorf. Der Pfarrer und der Küster, die zunächst an der Kirche wohnten, hatten es zuerst vernommen und als sie die Lichter erblickten, die auf dem Friedhof umher wandelten, merkten sie, dass etwas Ungewöhnliches vorging und traten sie in die Kirche ein. Sie hörten der Predigt eine Weile zu, da stieß der Küster den Pfarrer an und sprach: „es wäre nicht übel, wenn wir die Gelegenheit benutzten und zusammen vor dem Einbruch des jüngsten Tags auf eine leichte Art in den Himmel kämen.“ „Freilich“, erwiderte der Pfarrer, „das sind auch meine Gedanken gewesen. Habt ihr Lust, so wollen wir uns auf den Weg machen.“ „Ja“, antwortete der Küster, „aber ihr, Herr Pfarrer, habt den Vortritt, ich folge nach.“ Der Pfarrer schritt also vor und stieg auf die Kanzel, wo der Meister den Sack öffnete. Der Pfarrer kroch zuerst hinein, dann der Küster. Gleich band der Meister den Sack fest zu, packte ihn am Bausch und schleifte ihn die Kanzeltreppe hinab. So oft die Köpfe der beiden Toren auf die Stufen aufschlugen, rief er: „jetzt geht‘s schon über die Berge.“ Dann zog er sie auf gleiche Weise durch das Dorf. Und wenn sie durch Pfützen kamen, rief er: „jetzt geht‘s schon durch die nassen Wolken“. Und als er sie schließlich die Schlosstreppe hinaufzog, so rief er: „jetzt sind wir auf der Himmelstreppe und werden bald im Vorhof sein.“ Als er oben angelangt war, schob er den Sack in den Taubenschlag, und als die Tauben flatterten, sagte er: „hört ihr wie die Engel sich freuen und mit den Fittichen schlagen.“ Dann schob er den Riegel vor und ging fort.

Am andern Morgen begab er sich zu dem Grafen und sagte ihm, dass er auch die dritte Aufgabe gelöst und den Pfarrer und Küster aus der Kirche weggeführt hätte. „Wo hast du sie gelassen?“, fragte der Herr: „Sie liegen in einem Sack oben auf dem Taubenschlag und bilden sich ein, sie wären im Himmel.“ Der Graf stieg selbst hinauf und überzeugte sich, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Als er den Pfarrer und Küster aus dem Gefängnis befreit hatte, sprach er: „du bist ein Erzdieb und hast deine Sache gewonnen. Für diesmal kommst du mit heiler Haut davon, aber mache, dass du aus meinem Land fortkommst, denn wenn du dich hier wieder blicken lässt, so kannst du auf deine Erhöhung am Galgen rechnen.“ Der Erzdieb nahm Abschied von seinen Eltern, ging wieder in die weite Welt, und niemand hat wieder etwas von ihm gehört.


Dieses Märchen als PDF herunterladen

Oder vorlesen lassen

© Kati Winter

bottom of page