Katze und Maus in Gesellschaft
Das Original Märchen
Lesedauer:
7 Minuten



Die Katze betrügt ihre Freundin die Maus und frisst den gemeinsamen Vorrat auf. Als die Maus den Betrug erkennt, wird sie von der Katze gefressen.

Eine Katze hatte Bekanntschaft mit einer Maus gemacht und ihr so viel von der großen Liebe und Freundschaft vorgesagt, die sie zu ihr trüge, dass die Maus endlich einwilligte, mit ihr zusammen in einem Hause zu wohnen und gemeinschaftliche Wirtschaft zu führen. „Aber für den Winter müssen wir Vorsorge tragen, sonst leiden wir Hunger“, sagte die Katze, „du Mäuschen, kannst dich nicht überall hinwagen und gerätst mir am Ende in eine Falle.“ Der gute Rat wurde also befolgt und ein Töpfchen mit Fett angekauft. Sie wussten aber nicht, wo sie es hinstellen sollten. Endlich, nach langer Überlegung, sprach die Katze: „Ich weiß keinen Ort, wo es besser aufgehoben wäre als die Kirche, da getraut sich niemand etwas wegzunehmen: Wir stellen es unter den Altar und rühren es nicht eher an, als bis wir es nötig haben.“ Das Töpfchen wurde also in Sicherheit gebracht, aber es dauerte nicht lange, so trug die Katze Gelüsten danach und sprach zur Maus: „Was ich dir sagen wollte, Mäuschen, ich bin von meiner Base zu Gevatter gebeten: Sie hat ein Söhnchen zur Welt gebracht, weiß mit braunen Flecken, das soll ich über die Taufe halten. Lass mich heute ausgehen und besorge du das Haus allein.“ „Ja, ja“, antwortete die Maus, „geh in Gottes Namen, wenn du was Gutes isst, so denk an mich: Von dem süßen, roten Kindbetterwein trink ich auch gerne ein Tröpfchen.“ Es war aber alles nicht wahr: Die Katze hatte keine Base und war nicht zu Gevatter gebeten. Sie ging geradeswegs zur Kirche, schlich zu dem Fetttöpfchen, fing an zu lecken und leckte die fette Haut ab. Dann machte sie einen Spaziergang auf den Dächern der Stadt, besah sich die Gelegenheit, streckte sich hernach in der Sonne aus und wischte sich den Bart so oft, sie an das Fetttöpfchen dachte. Erst als es Abend war, kam sie wieder nach Hause. „Nun, da bist du ja wieder“, sagte die Maus, „du hast gewiss einen lustigen Tag gehabt.“ „Es ging wohl an“, antwortete die Katze. „Was hat denn das Kind für einen Namen bekommen?“ fragte die Maus. „Hautab“, sagte die Katze ganz trocken. „Hautab“, rief die Maus, „das ist ja ein wunderlicher und seltsamer Name. Ist der in eurer Familie gebräuchlich?“ „Was ist da weiter“, sagte die Katze, „er ist nicht schlechter als Bröseldieb, wie deine Paten heißen.“
Nicht lange danach überkam die Katze wieder ein Gelüsten. Sie sprach zur Maus: "Du musst mir den Gefallen tun und nochmals das Hauswesen allein besorgen. Ich bin zum zweiten Mal zu Gevatter gebeten, und da das Kind einen weißen Ring um den Hals hat, so kann ich es nicht absagen." Die gute Maus willigte ein, die Katze aber schlich hinter der Stadtmauer zu der Kirche und fraß den Fetttopf halb aus. "Es schmeckt nichts besser", sagte sie, "als was man selber isst", und war mit ihrem Tagewerk ganz zufrieden. Als sie heimkam, fragte die Maus: "Wie ist denn dieses Kind getauft worden?" "Halbaus", antwortete die Katze. "Halbaus! Was du sagst! Den Namen habe ich mein Lebtag noch nicht gehört, ich wette, der steht nicht in dem Kalender."
Der Katze wässerte das Maul bald wieder nach dem Leckerwerk. "Aller guten Dinge sind drei", sprach sie zu der Maus, "da soll ich wieder Gevatter stehen. Das Kind ist ganz schwarz und hat bloß weiße Pfoten, sonst kein weißes Haar am ganzen Leib. Das trifft sich alle paar Jahre nur einmal. Du lässt mich doch ausgehen?" "Haut ab! Halbaus!", antwortete die Maus. "Es sind so kuriose Namen, die machen mich so nachdenklich." "Da sitzest du daheim in deinem dunkelgrauen Flausrock und deinem langen Haarzopf", sprach die Katze, "und fängst Grillen. Das kommt davon, wenn man bei Tage nicht ausgeht." Die Maus räumte während der Abwesenheit der Katze auf und brachte das Haus in Ordnung. Die naschhafte Katze aber fraß den Fetttopf rein aus. "Wenn erst alles aufgezehrt ist, so hat man Ruhe", sagte sie zu sich selbst und kam satt und dick erst in der Nacht nach Hause. Die Maus fragte gleich nach dem Namen, den das dritte Kind bekommen hätte. "Er wird dir wohl auch nicht gefallen", sagte die Katze, "er heißt Ganzaus." "Ganzaus!", rief die Maus, "das ist der allerbedenklichste Name. Gedruckt ist er mir noch nicht vorgekommen. Ganzaus! Was soll das bedeuten?" Sie schüttelte den Kopf, rollte sich zusammen und legte sich schlafen.
Von nun an wollte niemand mehr die Katze zu Gevatter bitten, als aber der Winter herangekommen und draußen nichts mehr zu finden war, gedachte die Maus ihres Vorrats und sprach: "Komm, Katze, wir wollen zu unserem Fetttopf gehen, den wir uns aufgespart haben. Der wird uns schmecken." "Ja wohl", antwortete die Katze, "der wird dir schmecken, als wenn du deine feine Zunge zum Fenster hinaus streckst." Sie machten sich auf den Weg, und als sie ankamen, stand zwar der Fetttopf noch an seinem Platz, er war aber leer. "Ach", sagte die Maus, "jetzt merke ich, was geschehen ist. Jetzt kommt es an den Tag. Du bist mir die wahre Freundin! Aufgefressen hast du alles, wie du zu Gevatter gestanden hast: Erst Haut ab, dann halb aus, dann …" "Willst du schweigen?", rief die Katze. "Noch ein Wort, und ich fresse dich auf." "Ganz aus" hatte die arme Maus schon auf der Zunge. Kaum war es heraus, so tat die Katze einen Satz nach ihr, packte sie und schluckte sie hinunter. Siehst du, so geht es in der Welt.
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© Kati Winter